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05. July 2025

Fasten | Evidenzbasiert

„Die Medizin der Zukunft verbindet das Beste aus zwei Welten“
Prof. Dr. Andreas Michalsen

Vortrag aus dem Online Symposium: 

Die Wissenschaft in der Medizin
Evidence-Based und ganzheitliche Medizin
https://ganzheitsmedizin.my-ablefy.com/s/ganzheitsmedizin

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Mein Name ist Andreas Michalsen. Ich bin Professor an der Charité für klinische Naturheilkunde, Internist und gleichzeitig Chefarzt einer internistischen Abteilung am akademischen Lehrkrankenhaus der Charité, dem Immanuel Krankenhaus Berlin.
Nach meiner internistischen und kardiologischen Ausbildung habe ich mich bereits vor 20 Jahren auf Naturheilkunde spezialisiert. Heute möchte ich Ihnen die Kombination aus moderner Naturheilkunde und konventioneller Medizin vorstellen, die nach meiner Sicht und der aktuellen Datenlage die angemessene Medizin der Zukunft darstellt.
An der Charité selbst ist Naturheilkunde jedoch nicht nur ein Zukunftsthema. Naturheilkunde und Komplementärmedizin sind dort seit langem verankert. Bereits der erste Dekan der Charité, HU Land, hob die bedeutende Rolle der Diätetik und der Naturfaktoren für eine nachhaltige Gesundung hervor. Auch eine Abteilung wie die, die ich heute leite, existiert an der Charité in Berlin bereits seit über 100 Jahren.

Es ist sehr wichtig, bei den Themen Naturheilkunde und Komplementärmedizin eine gewisse Ordnung hineinzubringen. Oft entstehen kontroverse Diskussionen, weil den Diskussionsteilnehmern gar nicht bewusst ist, was Naturheilkunde eigentlich ist – und was nicht. Es ist nicht so, dass jedes Verfahren, das in den sozialen Medien diskutiert wird, oder auch Verfahren wie Homöopathie oder Schüßler-Salze automatisch zur Naturheilkunde gehören.

Naturheilkunde fokussiert sich auf naturgemäße Heilweisen. Diese lassen sich in drei Hauptbereiche unterteilen:
1.    Natürliche Heilfaktoren – alles, was durch Bewegung, Ernährung, Wärme, Kälte, Wasser oder Pflanzen auf Körper und Geist einwirken kann. Auch Stressreduktion gehört dazu.
2.    Traditionelle Verfahren – Methoden, die seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden angewendet werden, wie die chinesische Medizin oder der indische Ayurveda. In Europa gibt es durch den Dreißigjährigen Krieg viele Verluste in diesem Wissen, aber Klostermedizin reicht immerhin über 1000 Jahre zurück.
3.    Regionale Naturheilverfahren – in jeder Region der Welt existieren traditionelle Heilmethoden, die sich in ihrer Systematik oft ähneln. Dazu gehören Ernährung, Fasten, Bewegungsformen, Heilpflanzen und körperoberflächliche Therapien wie Schröpfen, Akupunktur oder Massagen, etwa im Ayurveda.

Wichtig ist mir zu betonen, dass es sich hierbei nicht um Alternativmedizin handelt! Das wird oft missverstanden. Vielmehr geht es um eine Kombination aus moderner Schulmedizin und Naturheilkunde. Die Schulmedizin ist zweifellos wertvoll, stößt aber insbesondere bei chronischen Erkrankungen an ihre Grenzen. Zudem sind die Kosten in vielen Bereichen enorm, sodass auch die WHO zunehmend eine integrative Medizin fordert, die Naturheilkunde und Lebensstilmodifikation mit einbezieht.

Die Verfahren der integrativen Medizin sind dabei evidenzinformiert ausgewählt. Natürlich gibt es in der Naturheilkunde nicht immer die gleiche Anzahl an randomisierten Studien wie in der konventionellen Medizin – schlicht, weil keine industrielle Förderung dahintersteht. Dennoch gibt es mittlerweile eine große Evidenzbasis, sodass wir fundierte Informationen zur Verfügung haben.

In Deutschland ist die akademische Situation im Bereich der integrativen Medizin inzwischen gut etabliert. Derzeit gibt es insgesamt zehn Professuren auf diesem Gebiet – es ist also längst kein Nischenfach mehr. Vor 30 Jahren gab es nur eine einzige Professur, heute haben wir eine Vielfalt an Schwerpunkten: Manche Professoren, wie Holger Kramer in Tübingen, forschen eher theoretisch, während andere, wie meine Professur oder die von Professor Langhorst in Bamberg (Gastroenterologie), klinisch orientiert sind.
Das wachsende akademische Interesse spiegelt auch die große Nachfrage in der Bevölkerung wider. Seit rund 40 bis 50 Jahren besteht in Deutschland ein kontinuierlich hohes Interesse an Naturheilkunde und Komplementärmedizin. Eine aktuelle repräsentative Umfrage mit mehreren tausend Teilnehmern hat gezeigt, dass etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung im Krankheitsfall auch mit Methoden der Naturheilkunde behandelt werden möchte – und dies auch tatsächlich tut.

Es handelt sich hier also nicht um eine Randerscheinung, sondern um eine breite gesellschaftliche Entwicklung. Manche Kritiker mögen einwenden, dass Menschen sich für Naturheilkunde entscheiden, ohne zu wissen, ob sie tatsächlich wirksam ist. Doch das ist ein Trugschluss. Viele naturheilkundliche Verfahren sind evidenzbasiert und durch Studien belegt – auch wenn diese Erkenntnis in der breiten Öffentlichkeit noch nicht ausreichend bekannt ist.
Leider kann ich Ihnen in der gebotenen Zeit nicht alle Aspekte dieser faszinierenden Disziplin ausführlich darlegen, doch ich hoffe, Ihnen einen ersten Überblick gegeben zu haben.
relativ einfach ist es im Bereich der Pflanzenheilkunde. Da haben wir im Prinzip zu all dem, was ich hierhin zeige, randomisiert kontrollierte Studien.

Das reicht von bekannten Mitteln wie Johanniskraut gegen Depression, Mariendistel bei Lebererkrankung, bis zu weniger bekannten Anwendungen – wie beispielsweise bei Bluthochdruck, wo wir mit Hibiskustee oder Leinsamen sehr gute und auch in randomisierten Doppelblindstudien belegte Verfahren haben.

Eine ganz große Domäne ist die symptomatische Behandlung von Infektionen – vor allem viralen Infektionen, die ja 90% aller Infekte darstellen. Da zeige ich noch mal kurz ein Bild.
Im Bereich der Pflanzenheilkunde haben wir auch in Deutschland die Situation, dass in sehr vielen Leitlinien – S3-Leitlinien – die Phytotherapie implementiert ist.
Auch interessant: Wir gewinnen neue Indikationen hinzu.
Ein Beispiel ist Demenz – eine Situation, in der ein dringender Therapiebedarf besteht, die Prävalenz stark ansteigt und die Pharmakotherapie bisher enttäuscht hat. Da stellt sich natürlich die Frage: Was können wir sonst noch anbieten?
Hier einfach exemplarisch: Lavendel bei Angstsyndromen – aber auch als Einschlafhilfe kann man Lavendelextrakte sehr gut einsetzen.
Hier eine Metaanalyse – und da sehen Sie eine sehr gute Effektgröße bei sehr guter Verträglichkeit.
Angstsyndrome genauso wie Depressionen haben ja – ich kenne die Zahlen in Österreich nicht – in Deutschland inzwischen eine Prävalenz, die sie zu Volkskrankheiten werden lässt.
Und es kann natürlich keine Lösung sein, jetzt flächendeckend Benzodiazepine oder trizyklische Antidepressiva einzusetzen – aufgrund der Nebenwirkungen.
Also hier ein Beispiel, wo man entsprechend arbeiten kann.

Ich hatte die grippalen Infekte erwähnt. Da bitte ich Sie, jetzt nicht erschüttert zu sein ob der Fülle dieser Stoffe.
Das heißt nicht, dass es beliebig ist. Da sind auch konventionelle Mittel dabei.
Sie sehen bei Fieber z.?B. Ibuprofen, oder bei verstopfter Nase Xylometazolin.
Aber das sind derzeit auch in der Allgemeinmedizin etablierte Ansätze, wo man sagt: Ja, es ist eine virale Erkrankung in den allermeisten Fällen.

Es findet ein Antibiotikamissbrauch statt, der uns diese Antibiotikaresistenzen als massives Problem immer mehr entstehen lässt.
Wir brauchen andere Ansätze.
Und man kann eben hier Salbei, Eukalyptus, Ingwer, Lindenblüte, Geranie einsetzen – wir haben ja wirklich ein fast schon Füllhorn an Möglichkeiten zu behandeln.
Das sind alles pharmakologisch fundierte Ansätze, die in randomisiert kontrollierten Studien überprüft wurden.
Die Anwendung von Wadenwickeln ist nicht in randomisierten Studien überprüft – das wird wohl auch nie finanziert werden.
Auch hier haben wir natürlich keinen Sponsor.
Aber ich denke, das weiß die Großmutter – und das wissen wir heute auch noch: dass das bei Fieber hilft.

Bei der Ernährung – da will ich gar nicht so sehr drauf eingehen, weil es inzwischen ein so gewichtiges Thema geworden ist, dass da kaum mehr Diskussion besteht.
Aber ich möchte einfach daran erinnern, dass, als die Naturheilkunde und Komplementärmedizin das formulierten – vor über 150 Jahren – man sehr stark kritisiert wurde:
Es sei ja überhaupt nicht möglich, Erkrankungen mit Ernährung zu beeinflussen
.

Das ist zum Beispiel eine Studie, die mich beeindruckt hat. Da geht es um die gesunde Lebensverlängerung.
Denn die meisten Erkrankungen sind altersassoziiert.
Es geht nicht darum, dass wir 120 oder 130 Jahre alt werden sollten oder wollten – wer das will, kann es versuchen.
Aber es geht vor allem darum, chronische Erkrankungen – von Arthrose bis Herzinsuffizienz, von Osteoporose bis Gebrechlichkeit – nicht als zwangsläufig zu erleben.
Und hier sehen Sie an dieser Studie, dass bei einer Änderung hin zu einer klassisch naturheilkundlich, pflanzenbetonten, vollwertigen Ernährung Männer bis zu 13 gesunde Lebensjahre gewinnen können – wenn das umgesetzt wird.

Ein anderes Beispiel, wie man gezielt in der Naturheilkunde Ernährungstherapie anwendet – ich hatte es kurz schon stichwortartig erwähnt – ist Bluthochdruck.
Bluthochdruck kann man gut mit Medikamenten behandeln – das ist gar keine Frage.
Aber auch hier stellt sich die Frage nach unerwünschten Wirkungen oder anderen Patientenpräferenzen.
Und man steht dann nicht mit leeren Händen da.
Hier gibt es: Hibiskustee, grüner Tee, Rote Bete, Pistazien, Walnüsse, Blaubeeren – jeweils mit Daten aus randomisierten Studien.
Ich habe hier den Leinsamen mitgebracht – verblindet tatsächlich, in einer Studie, wo man Leinsamen in Muffins eingebacken hat.
Die Teilnehmer wussten das nicht – und man sah dann einen blutdrucksenkenden Effekt.

Sie sehen, wie die Kurven da auseinandergehen – das entspricht ungefähr dem, was man bei Studien zu ACE-Hemmern oder Sartanen sieht.
Auch ein Schwergewicht in der Naturheilkunde und Komplementärmedizin ist die Fastentherapie.
Und auch hier erleben wir eine Art Renaissance oder Rehabilitation eines naturheilkundlichen, traditionellen Verfahrens.
Vor noch wenigen Jahrzehnten gab es durchaus Kritik – es sei gefährlich oder führe nur zum Jojo-Effekt.
Heute verstehen wir, dass das Fasten eine tiefgreifende biologische Therapie ist.
Das wurde vor allem evident, als immer mehr Tierversuche klar dokumentierten, dass Intervallfasten oder kalorische Restriktion die einzige biologische Maßnahme ist, mit der sich tatsächlich die Lebensspanne von Organismen verlängern lässt.
Also: Ich hatte vorher von altersbedingten Erkrankungen gesprochen – das ist gut, wenn wir sie nicht erleben.

Jetzt geht es aber tatsächlich um die Frage: Kann man die Lebensspanne erhöhen – also über die 90 hinaus, über die 100 hinaus?
Und da sehen Sie relativ klar, wie das bei den Mäusen ist – und das wissen wir heute auch von Daten: von der Bäckerhefe bis zum Rhesusaffen.
Das ist ein klarer Fakt – hier aus dem New England Journal of Medicine, am Beispiel Intervallfasten.
Auch die ganzen Mechanismen sind dargestellt – ich kann jetzt nicht im Detail darauf eingehen, aber es ist molekular sehr gut identifiziert, dokumentiert und aufgezeigt, an welchen Stellen überall das Fasten wirkt.

Wir haben auch klinische Evidenz:
Hier bei Rheuma – die Studie ist schon ein paar Jahre alt, aber weiterhin gültig. Im Lancet publiziert – links die Originalstudie, rechts eine Metaanalyse.
Wir können Rheuma nicht heilen mit Fasten (, aber wir können es übrigens auch mit Biologika nicht heilen). Wir können es nur kontrollieren. Aber wir haben symptomatische Effekte – und die sind nicht lapidar, die sind nicht trivial. Man sieht hochsignifikante Verbesserungen von Schmerz und Schwellung.
Etwas, was man gerade auch beispielsweise zur Einsparung von Kortikosteroiden wie Prednisolon als behandelnder Arzt sich natürlich sehr wünscht. Wir haben hier in Berlin auch die größte Rheumatologie Deutschlands, Professor Krause, und wir arbeiten Hand in Hand. Wann immer schwer kontrollierbare Fälle von rheumatoider Arthritis auf den Stationen gesehen werden, dann diskutieren wir, wie und in welcher Form wir das Fasten einsetzen.
Das Heilfasten hat eine ausgewiesene blutdrucksenkende Wirkung. Hier sehen Sie Daten von knapp 1.400 Patienten aus dem Ressort. Abgebildet sind Fastenzeiten von 15, 14 oder 21 Tagen – je nachdem, wie die Fettreserven sind, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Da sehen Sie eben diesen normalisierenden Effekt, der bereits nach fünf Tagen auf den Blutdruck eintritt.
Ich halte es für ein wirklich gutes Ziel, die biologische Alterung durch Naturheilkunde und Komplementärmedizin zu verlangsamen. Denn wenn wir das schaffen, dann haben wir weniger Arthrosen, Osteoporose, Demenz, Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz. Es gibt fast keine chronische Erkrankung, die nicht altersassoziiert ist.

Hier zeigte Walter Longo mit seiner „Fasting Mimicking Diet“ – das ist letztlich eine Referenz an die traditionellen Fastenformen, wie sie Buchinger oder Mayr praktizierten –, dass bereits nach drei Anwendungen von jeweils fünf Tagen in drei Monaten das biologische Alter sich um 2,5 Jahre verschiebt. Das darf man jetzt nicht ganz wörtlich nehmen, das sind Scores, aber es sind wissenschaftlich valide Scores.

Das ist übrigens auch eine Referenz an den, wie ich denke, großen österreichischen naturheilkundlichen Arzt Franz Xaver Mayr. Er hat immer auf die Notwendigkeit hingewiesen, nicht nur zu betrachten, was wir essen, sondern wie wir es essen: kauen, eine gewisse Esskultur, langsames Essen. Er war seiner Zeit voraus. Bevor man überhaupt von der Existenz des Mikrobioms wusste, hatte er Methoden entwickelt, die genau dieses Mikrobiom günstig beeinflussen.
Heute sehen wir in Studien, zum Beispiel in einer japanischen Arbeitsgruppe, dass die Anzahl der Kaubewegungen und die Dauer der Mahlzeiten mitentscheidend sind für die Thermogenese. Und die Thermogenese ist ein Ausdruck dessen, wie gut und wie hochwertig die Verdauung ist. Also, wie stark die Thermogenese ausgeprägt ist.
Mayr würde sich freuen!

Intervallfasten
Intervallfasten ist in den letzten Jahren wirklich sehr intensiv diskutiert und erforscht worden. Ich möchte das jetzt nicht in aller Ausführlichkeit darlegen, aber eine der ersten Studien dazu war für mich immer besonders spannend: die randomisierte Studie von Hana Kahleova aus dem Jahr 2015.
Dort wurden identische Mahlzeiten entweder im Rahmen des Intervallfastens oder über den Tag verteilt konsumiert. Und bei Diabetes Typ 2 gab es markante, relevante Unterschiede – obwohl die Menschen die gleichen Kalorien und die gleichen Nährstoffe zu sich genommen haben! Es gab deutliche Unterschiede hinsichtlich Fettleber, Insulinsensitivität und Gewicht.
Deshalb gehört Intervallfasten für mich bei Diabetes Typ 2 immer zur Beratung dazu.

Akupunktur
Ein ganz anderes Thema: Akupunktur.
Wir setzen Akupunktur am Krankenhaus sehr häufig in der Schmerztherapie ein – ich denke, das ist auch die Hauptdomäne. Die Charité war hier früh mit hochwertigen Studien dabei, insbesondere Kollegen Witt und Brinkhaus.
Zum Beispiel die ART-Studie zu chronischen unteren Rückenschmerzen oder die Studie von Claudia Witt, die mittlerweile Lehrstuhlinhaberin in Zürich ist, zur Gonarthrose. Diese Studien zeigen, dass es einen spezifischen Effekt gibt. Es kommt also darauf an, wo man die Nadeln setzt. Natürlich gibt es auch unspezifische Effekte – aber das würde mich niemals daran hindern, Akupunktur einzusetzen.
Denn wenn wir nur Therapien mit ausschließlich spezifischen Effekten anwenden würden, dann könnten wir viele chirurgische Verfahren oder andere medizinische Methoden gar nicht mehr nutzen. In der Medizin gibt es immer unspezifische Effekte. Meine Haltung dazu ist: Solange eine Methode sehr gut wirkt und sich alle dessen bewusst sind, ist es hervorragend, wenn sie zusätzlich einen hohen unspezifischen Effekt hat. Denn sie hat letztlich keine unerwünschten Nebenwirkungen und ist sehr kosteneffektiv.

Akupunktur bei Allergien
Akupunktur wird oft nur als Schmerztherapie betrachtet. Doch eine bahnbrechende Studie hat gezeigt, dass sie auch bei Allergien einen signifikanten Effekt hat.
Diese Studie wurde hochrangig publiziert und methodisch nach Best-Practice-Standards durchgeführt. Das zeigt, dass Akupunktur auch in dieser Indikation eine gute Wahl ist.
Metaanalysen bestätigen immer wieder:
•    Erstens: Akupunktur wirkt.
•    Zweitens: Sie hat sowohl unspezifische als auch spezifische Effekte.

Schröpfen
Ein weiteres traditionelles Verfahren ist das Schröpfen. Es ist in China, Indien und dem arabischen Raum weit verbreitet.
Auch an der Charité haben wir Studien dazu durchgeführt und Metaanalysen erstellt. Schröpfen zeigt Wirkung bei Kniearthrose, Rückenschmerzen und Nackenschmerzen.
Für mich ist es ein schönes Beispiel dafür, wie Naturheilkunde zur Selbstwirksamkeit beitragen kann. Ein Schröpfglas kostet nur wenige Euro in der Apotheke, und man kann es selbst oder mit Hilfe eines Partners anwenden.

Blutegeltherapie
Blutegel – das ist natürlich ein mutigeres Verfahren. Es ist eine traditionelle Methode, die weltweit verbreitet ist.
Wir haben viel zur Anwendung bei Gonarthrose geforscht. Insgesamt gibt es vier Studien dazu, zwei davon von uns. Auch bei chronischen Rückenschmerzen, Rhizarthrose und Epicondylitis haben wir Studien durchgeführt.
Natürlich ist die Blutegeltherapie nicht unsere erste Empfehlung. Aber aufgrund ihrer starken Wirkung und großen Effektgröße setzen wir sie in der Klinik gerne als Reserveoption ein – vor allem dann, wenn sich Arthrosebeschwerden nicht bessern und eine Endoprothetik chirurgisch noch nicht indiziert ist.

Kneipp-Therapie und Kälteanwendungen
Bei einem Überblick über Naturheilkunde darf natürlich Sebastian Kneipp nicht fehlen!
Kaltwasseranwendungen sind in Deutschland immer noch populär. Der Kneipp-Bund hat über 60.000 Mitglieder. Die Studienlage ist nicht überwältigend, aber es gibt positive Evidenz, vor allem bei:
•    Venenerkrankungen
•    Herzinsuffizienz
•    Bluthochdruck
•    Schlafstörungen


Kneipp-Therapien und Kälteanwendungen wirken über die Immunstimulation – das nennt man Hormesis. Die Idee dahinter: Man muss den Körper aus seiner Komfortzone herauslocken, um die Selbstregulation zu aktivieren.
Das wissen wir vom Sport: No pain, no gain. Das gilt auch für thermale Anpassungen.
Ein Beispiel: Eine Studie zeigte, dass kühle Raumtemperaturen zur Bildung von braunem Fettgewebe führen. Das hat nicht nur Vorteile für die Immunresilienz, sondern auch für den Stoffwechsel – beispielsweise bei Diabetes Typ 2.
Auch Hyperthermie kann positive Effekte haben, zum Beispiel bei Depressionen.


Fazit
Traditionelle Verfahren wie Fasten, Akupunktur, Schröpfen und Kneipp-Therapie bieten wertvolle Ergänzungen zur Schulmedizin – mit wissenschaftlicher Evidenz für viele Anwendungsbereiche.

Und dann komme ich zum Schluss noch auf die Mind-Body-Medizin, die für mich ein elementarer Teil der modernen Naturheilkunde und der integrativen Medizin ist. Denn Stress ist inzwischen bei der überwiegenden Mehrzahl der chronischen Erkrankungen kausal mitverantwortlich.
Zumindest kann man sagen: Die meisten Erkrankungen verschlechtern sich unter Stress. Selbst wenn sie nicht durch Stress verursacht sind, werden sie durch ihn schlimmer – von Kollagenosen bis zu Allergien, von Bluthochdruck bis zur Insulinfunktion bei Diabetes Typ 2.

Ich greife hier nur einige Beispiele heraus:
•    Yoga und Blutdrucksenkung – eine Metaanalyse von Kramer, die wir zusammen mit meinem Team durchgeführt und prominent publiziert haben.
•    Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion und Meditation bei rheumatoider Arthritis – hier sieht man den Einfluss auf den Disease Score und auf das C-reaktive Protein.
•    Tai Chi bei Fibromyalgie – Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom sind schwer zu behandeln. Doch mit Tai Chi erreichen wir eine Beschwerdereduktion von mehr als 40 % – das ist dramatisch im positiven Sinne. Deshalb haben wir Tai Chi in unsere Klinik integriert.

Stressbewältigung und Krebs
Dass Stressreduktion hilft, überrascht nicht. Schon vor vielen Jahren wurde das in einer Metaanalyse gezeigt.
Spannend ist, dass wir mit diesen Verfahren auch bei Krebserkrankungen ergänzend sehr viel bewirken können. Krebs führt zu einer massiven mentalen und seelischen Belastung. Gerade in Kombination mit der modernen Pharmakotherapie ist es daher geboten, nicht-pharmakologische Therapiemethoden einzusetzen.
Hier kommen Yoga und Achtsamkeit ins Spiel – mit sehr starken Effekten. Das sind keine kleinen Unterschiede, sondern deutliche Verbesserungen.
Wir haben an unserer Klinik eine Tagesklinik für Naturheilkunde aufgebaut, in der wir diese Methoden gezielt in die Onkologie integrieren – insbesondere für Frauen nach Brustkrebsoperationen oder Chemotherapie sowie für Patienten mit Eierstock-, Darm- und Prostatakrebs.

In einer kontrollierten Studie mit einer Wartelisten-Kontrollgruppe haben wir Chi Gong, Yoga und Meditation kombiniert. Das Ergebnis: signifikante Verbesserungen der Lebensqualität bei Krebspatienten – gemessen mit dem international anerkannten Lebensqualitäts-Inventar für Krebserkrankungen.
Bewegung in der Natur
Auch in der Bewegungstherapie zeigt sich der Nutzen der Natur. Studien aus Japan zeigen: Bewegung ist wirksamer, wenn sie in einem natürlichen Umfeld, zum Beispiel im Wald, praktiziert wird.
Die Japaner haben daraus eine eigene Disziplin entwickelt: Shinrin Yoku – das Waldbaden. Man muss das nicht romantisieren, aber die Evidenz ist klar.
Auch wir haben das in unserer Klinik übernommen: Unsere Bewegungstherapien finden – außer bei sehr schlechtem Wetter – in unserem Krankenhauspark statt.
Metaanalysen zeigen, dass Waldspaziergänge messbare Effekte auf den Blutdruck haben. Das Waldbaden senkt nachweislich den Bluthochdruck.

Ayurveda
Zum Schluss noch eine Schleife zur Ayurveda-Therapie.
Wir waren sehr froh, dieses traditionelle Medizinsystem in Kooperation mit der indischen Regierung einer wissenschaftlichen Überprüfung unterziehen zu können – durch eine randomisierte, kontrollierte Studie mit 150 Patienten.
Die eine Gruppe erhielt die beste konventionelle orthopädische Therapie: hervorragende Physiotherapie, Einlagen, Edukation, Schmerzmittel bei Bedarf und manuelle Verfahren. Die andere Gruppe bekam dasselbe – aber auf ayurvedische Weise.
Das Ergebnis: Der WOMAC-Score (ein weltweit genutzter Bewertungsmaßstab für Arthrose) zeigte eine klare Überlegenheit der Ayurveda-Gruppe. Besonders spannend: Die Intervention wurde nach 12 Wochen beendet, aber die positiven Effekte blieben nachhaltig erhalten.

Das hat dazu geführt, dass die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie die Ayurveda-Behandlung inzwischen als Empfehlung für Arthrose aufgenommen hat.

Fazit: Integration traditioneller Medizin
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert inzwischen klar, dass traditionelle Medizin stärker in die moderne Gesundheitsversorgung integriert werden muss.
Warum?
1.    Wirksamkeit – Traditionelle Methoden können ihre Effektivität belegen.
2.    Sicherheit – Die Nebenwirkungen sind im Vergleich zur klassischen Pharmakotherapie sehr gering.
3.    Kosteneffizienz – Naturheilkunde ist oft deutlich günstiger als aufwendige medizinische Verfahren.

Natürlich gibt es gelegentlich Berichte über Nebenwirkungen – zum Beispiel, dass ein Heilkraut erhöhte Leberwerte verursacht. Aber wenn wir das mit der Häufigkeit unerwünschter Wirkungen in der klassischen Pharmakotherapie vergleichen, sind diese Fälle verschwindend gering.
Sogar die G20-Erklärung aus dem letzten Jahr hat traditionelle und komplementäre Medizin explizit als förderwürdig anerkannt.

Mein Fazit ist positiv.
Aber mir ist wichtig: Es geht nicht um Alternativmedizin. Das ist kein Ersatz für die Schulmedizin, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Die Kombination aus konventioneller und integrativer Medizin ist der Weg der Zukunft.
Die Nachfrage ist da – zumindest in Deutschland. Die WHO fordert es, und die Evidenz ist besser, als oft angenommen wird. Sie könnte mit mehr finanzieller Förderung sogar noch deutlich ausgebaut werden.
Mit inzwischen 22 Professuren für Integrative Medizin in Deutschland ist der Weg zur evidenzbasierten integrativen Medizin klar vorgezeichnet.
 

Bitte holen Sie sich gerne die Aufzeichnungen dieses und weitere Vorträgehttps://ganzheitsmedizin.my-ablefy.com/s/ganzheitsmedizin

 

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